Wieder ein kleines Land mit einer Geschichte, die geprägt ist von jahrhundertelanger wechselnder Fremdherrschaft und einer ersten kurzen Unabhängigkeitsphase zwischen 1918 und 1940. Auch hier Deportations- und Vernichtungswellen von Sowjets und Deutschen, auch hier Widerstand und letztlich –wenn auch spät und nach Jahrzehnten- die Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Ich bin tief beeindruckt und voller Hochachtung für diese Nationen! In Lettland (1,7 Mill. EW) streiften wir kurz die Küste, die lettische „Costa del Sol“, nördlich von Riga. Dorthin ziehe es die Einheimischen, haben wir gelesen. Von Norden fuhren wir nach Riga, der Stadt des Jugendstils. Vorher kamen wir am Münchhausenmuseum vorbei, das montagsmäßig geschlossen war.
Unterwegs huschten wir in ein kleines feines Fahrradmuseum, in dem uns der Sohn des immer noch sammelnden Gründers sehr fachkundig alle Fragen beantwortete. Besonders interessant für uns war ein Fahrrad aus den 30igern, das speziell für Pfadfinder angefertigt wurde und zum Transport von Gepäck und Zeltstangen geeignet war. In Riga gab es übrigens in den 1930igern 30 ! Fahrradfabriken.
Bei einer kurzen Aufwärmkaffeepause an einem Supermarkt – hier gibt es überall Kaffeeautomaten – hatten wir eine interessante Begegnung: Ein älterer Mann saß auf der Bank neben uns, aus der Plastiktüte lugte die Vodkaflasche. Er sprach uns in Englisch an, ob wir Reisende seien und auf unsere Bestätigung meinte er, er sei auch Reisender. Als er hörte, dass wir aus Deutschland kämen, ergänzte er, er sei 1973 als sowjetischer Soldat in Dessau gewesen, heiße Juri und sein Wortschatz beliefe sich noch auf die wichtigsten Dinge: „ rechts gehen“, „links gehen“, „ich liebe Dich“. Er entfernte sich betont sportlich walkend und rief uns zwinkernd zu, er sei Sportler. Eine junge Frau mit Kinderwagen sprach uns ebenfalls freundlich an, wir seien Reisende, ob wir etwas bräuchten. Nette Leute, die Lett*innen.
Riga wird für mich immer mit Regen und Jugendstil verbunden bleiben. Mit Lido, der Selbstbedienungsrestaurantkette, wo wir uns wunderbar mit litauischer Küche versorgten, und mit dem gigantischen Sängeramphitheater.
Das Singen hat im Baltikum eine ganz besondere Tradition und Bedeutung. In der Sowjetunion war es verboten Lieder zu singen, die eine andere Vaterlandsliebe als die zur Sowjetunion thematisierten. In der Zeit der Perestroika begannen die Menschen immer häufiger, ihre alten Lieder zu singen, auf riesigen Sängerfesten. In Estland wurde sie die „singende Revolution“ genannt. 1988 sangen 300.000 Esten und Estinnen erstmals wieder ihre verbotene Hymne. Die Forderung der baltischen Staaten bestand auch in der Annullierung des Hitler-Stalin-Paktes, nach dessen Deutsch-sowjetischem Freundschaftsvertrag die drei Länder an die Sowjetunion fielen. Anlässlich des 50igsten Jahrestags des Hitler-Stalin-Paktes gab es die längste Menschenkette der Geschichte mit über 1 Million Menschen, die von Vilnius nach Tallin ging (23.08.1989).
Es hat dann noch bis Mai ´91 gedauert und kostete noch etliche Menschenleben, aber sie haben es geschafft.
Zu den eher skurrilen Erlebnissen in Riga gehört die Begrüßung der Red Bull Rallycross-Formel E (also Elektrofahrzeuge!) Championship-Mannschaft in der Altstadt zunächst mit aufpeitschenden Techno-Klängen und danach mit Chor in historischer Tracht und traditionellem Liedgut.
Die Markthallen in Riga, mehrere Zeppelinhallen, gehören zum Pflichtprogramm und natürlich schlenderten wir um Fleisch- und Fischtheken mit Schweineschnäuzchen und Kaviardosen. Manche Gewürzstände erinnerten uns stark an zentralasiatische Märkte – dabei ist die traditionelle lettische Küche eher schlicht bis gar nicht gewürzt.
In Riga regnete es fast die ganze Zeit und zwar ergiebig. Auch bei der Abfahrt – und 20 km später war der Himmel trocken! Die Straßenverhältnisse waren etwas nervig: Entweder wir fuhren Hauptstraße mit heftigem Schwer-Verkehr auf schmalem Seitenrand, oder auf Nebenstraßen, die dann plötzlich unbefestigt, schotterig, Waschbrett wurden. Kurz vor der Grenze zu Litauen, in Bausta, gab´s nochmal einen Nachschlag in Sachen Burgen/Schlösser und Museen mit unendlichen steilen Treppen. Aber besonders waren die Blumen- Kunstwerke an den alten Holzhäusern.