Länder, Marokko, Südtour 2024, Tagebuch
Schreibe einen Kommentar

Ein Tag Zugabe in Marokko

Der Wind, der uns gestern von Tetouan Richtung Westen nach Tanger geschoben hat – für meinen Geschmack streckenweise etwas zu böig als es bergab ging – hat nun für einen Tag extra gesorgt. Bei bis zu 70 km/h hat die Fähre ihren Betrieb seit gestern Nachmittag bis Samstag früh eingestellt. Hm, unser Plan war anders, aber was soll´s. Unser Bedürfnis nach weiteren Medinas ist eindeutig null. Also bummeln wir durch den Yachthafen und schütteln den Kopf über das Großprojekt „Luxus pur“ direkt daneben, trinken noch einen Milchkaffee im selben Straßencafé, in dem wir vor 4 Wochen den ersten in Marokko getrunken haben, haben die Wäsche in den Waschsalon gebracht und sinnieren wo und wie wir denn Sylvester begehen wollen.

Und da wir noch Zeit haben, beginnen wir ein wenig zu resümieren über Marokko. Was hat uns gefallen, was weniger, was war überraschend? Wie immer bieten wir Euch unseren ganz persönlichen Eindruck, noch tagesfrisch und natürlich aus RadlerInnensicht. Die Fotos kommen diesmal ganz unten.

Also, was hat uns gefallen: Die vielseitige Landschaft, wobei wir ja nur einen sehr kleinen Teil gesehen haben. Die Sandwüste, der hohe Atlas etc. fehlt uns ja. Die positiven Zeichen der Menschen am Straßenrand, der klassische Daumenhoch. Der meist unkomplizierte Umgang mit der Unterbringung unserer Räder in den Unterkünften. Diese Überraschung, wenn du durch enge schäbige Gassen auf der Suche nach dem Riad auf eine unscheinbare Holztür stößt, an die du klopfen musst – und sich dann ein Innenhof öffnet, manchmal klein, aber immer mit einer Atmosphäre, die Sicherheit und Aufgehobensein vermittelt. Frühstücken auf Dachterrassen, inmitten von wuseligen Altstädten, manchmal auch mit Blick auf Wasser. Die Vorstellung, wie alt die Strukturen, die Kultur, diese unglaubliche Gebäudeornamentik sind, erweitert nochmal den geschichtlichen Horizont und relativiert das klassische europäische Selbstbewusstsein. Immer wieder fasziniert mich persönlich das Handwerkliche, es lässt meine Hochachtung vor den Dingen wachsen und ich bekomme (mal wieder) Lust, zuhause vieles auszuprobieren. Und ja, die Freundlichkeit in den Riads und Hotels. Uns wurde immer wieder versichert, wie groß die Gastfreundschaft in Marokko sei, ein wichtiger Teil ihrer Kultur. Man könne jederzeit abends an eine Haustür klopfen und man würde zum Bleiben eingeladen und mit Essen versorgt. Wir haben es nie ausprobiert. Ich glaube, dass es stimmt – in einsamen Gegenden, wo weit und breit nichts ist und man selbst zu Fuß unterwegs ist.  Diese Gastfreundschaft ist weltweit verbreitet. Ich erinnere mich an Paul, den wir auf der Asienreise kennengelernt hatten. Der ist durch Europa geradelt und hat abends an Haustüren geklopft mit der Bitte, einen Abend als ihr Sohn aufgenommen zu werden, da er als Europäer wissen möchte, wie man überall lebt. Das hat gut funktioniert und er hatte tolle Begegnungen – als 19jähriger. Ich habe von jungen Frauen gehört, die ähnlich durch Marokko reisen. Toll, aber nix für mich.

Natürlich waren die verschiedenen Medinas zum Schauen interessant und vermittelten auch eine Ahnung von den Lebensumständen und dem Alltag in den engen Städten, gerade dort, wo es weniger Touristenströme gab wie in z.B. in Meknes.

Was war weniger toll: Was auf der einen Seite als positive Aufmerksamkeitsbekundung rüberkam, habe ich viel häufiger als irritierend bis übergriffig abwertende Reaktionen erlebt. Meistens von Jungen im Schulalter, die am Straßenrand entweder etwas riefen, was ich von Intonation und Gestik als aggressiv abwertend empfand, oder sogar die Straße versuchten zu blockieren, um uns anzuhalten. Dabei kamen nicht immer, aber häufig, klare fordernde Gesten nach Geld. Das passierte vorrangig in eher abgelegenen ärmlichen und anscheinend konservativen Gegenden. Manchmal hatte ich auch den Eindruck, sie meinten eher mich als Fritz. Das machte es anstrengend. Irgendwann empfand ich auch die Ausrufe und Fragen – übrigens immer junge Männer- aus vorbeifahrenden Autos heraus als übergriffig. Die Aussage von einem marokkoerfahrenen Motorradfahrer auf meine Frage nach angemessener Kleidung für mich, als Touristin könne ich anziehen, was ich wolle, kann ich so nicht bestätigen. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich in Marrakesch durch die Tourimeile gehe, in Casablanca im modernen Stadtteil durch die Modegeschäfte shoppe oder auf dem Fahrrad eine Landstraße durch Dörfer fahre, wo alle Frauen und fast alle jungen Mädchen traditionell gekleidet sind und natürlich auch kein Fahrrad fahren. – Das empfinde ich als anstrengend. Z.B. heute in Tanger, eine moderne Stadt mit buntem Menschengemenge zumindest in der Hafengegend: Ein schicker neuer Mercedes mit einem westlich gestylten jungen Mann am Steuer, daneben eine junge Frau im Nikab, also nur Augenschlitze sichtbar. Es fällt mir schwer zu glauben, dass diese Frau aus eigenem Antrieb und Überzeugung sich so verhüllt, dass die Überzeugung des Mannes nicht eine bedeutende Rolle dabei spielt. Das empfinde ich als anstrengend und macht mich zunehmend wütend auf diese Männergesellschaft. Natürlich gibt es auch viele Beispiele von jungen Frauen und Mädchen, die mit offenen Haaren und modern gekleidet durch die Stadt laufen; das macht Mut. Aber nur ein Stadtteil weiter findet man sie nicht mehr.

Schon in Spanien hat uns ja der Plastikmüll aus der Landwirtschaft deprimiert. Hier ist es stellenweise wirklich ganz übel. In den größeren Städten gibt es eine Müllabfuhr, auf dem Land gibt es – fast wie in Indien- die kleinen Müllverbrennungshaufen, d.h. die Leute schieben den Müll zusammen und verbrennen ihn. Manchmal finden wohl auch – meist an größeren Straßen- Müllsammelaktionen statt, denn dann liegen pralle Müllsäcke am Straßenrand.

Was war überraschend: Der Schulbusverkehr! Immer und überall fahren sie. Aus o.g. Gründen haben wir das immer stark im Blick gehabt. Ebenfalls sehr häufig präsent sind kleine Autos, die am Straßenrand stehen und hinten im Fonds einen Vollkaffeeautomaten nebst Kaltgetränken und oft Nüsse/Chips im Angebot haben; dazu ein/zwei Stühlchen und auf dem Autodach ein Solarmodul. Meistens scheint es ein entspannter Job zu sein, der vorrangig aus Warten besteht. Keine Ahnung, wie das Geschäftsmodell sich rechnet, oder ob es ein Modell dahinter gibt.

Der Umgang mit Katzen. Uns scheint das Füttern noch intensiver als in Spanien zu sein. Hier sind die Katzen allerdings aufdringlicher, vor allem an Restaurants betteln sie an den Tischen. Leider werden sie auch tatsächlich von Gästen gefüttert. Der Umgang mit den Hunden ist dagegen wohl sehr ambivalent. Die wilden Hunde waren -neben Kinderhorden- mit ein Grund, weshalb wir nicht frei gezeltet haben. Ok, nur einer von mehreren. Vielleicht liegts auch am Alter. Mein Bedürfnis nach einem sicheren Ort und was ich dafür brauche, ist anders geworden in den letzten Jahren.

Überraschend war übrigens das Wetter! Es war viel besser als gedacht! Wir hatten nur einen Nieseltag, den wir auch noch ausgesessen haben. Was uns freut, bedrückt die anderen. Bereits das zweite Jahr in Folge sei der Regen in den Monaten November und Dezember ausgeblieben, hat uns jemand gesagt. Und das Wasser fehlt!

(F) Ich verbinde mit Marokko auch noch Speichenbrüche, zwei oder drei sind erinnerlich, immer hinten. Die marokkanischen Straßen können nicht die Ursache sein; die sind nämlich gar nicht so schlecht. Vermutlich hängt das mit dem Unfall in Peru zusammen: Da wurde eine neue Felge mit den alten Speichen eingespeicht – und die hatten durch den Crash vielleicht doch Mikrorisse bekommen. Zuhause werde ich das in Angriff nehmen.

Apropos Straßen: Autos und besonders LKW’s halten selten den gebotenen Seitenabstand – gestern wurde ich mit 20 cm Abstand überholt. Da freuen wir uns schon auf Spanien!

Und dann verbinden wir mit Marokko noch die vielen Störche – und Stare.

Wir sind jetzt seit mehr als einem Monat in Marokko, und nun ist es auch gut. Unser Resümee klingt vielleicht etwas hart. Vielleicht steht dahinter auch ein gewisser Verdruss über die laute und raumgreifende männliche Überrepräsentanz, unter der Karin noch mehr leidet als ich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert