Im homestay in Kalaikhum hatten wir ein eindrückliches Erlebnis bzgl. des unterschiedlichen Umgangs mit medizinischen Fragestellungen. Ich saß vormittags auf der Terrasse über dem Fluss und hörte plötzlich einen lauten Knall. Ein älterer Angehöriger des Betreiber-Paares lag bewusstlos auf dem Rücken und zuckte ein wenig. Die auf mein Rufen herbeigestürzten Wirtsleute begannen gleich mit Herzmassage, obwohl der Puls gut tastbar war, und ließen sich nur schwer davon abbringen. Das ganze dauerte einige Minuten und war gefolgt von großer Schläfrigkeit, sah also aus wie ein klassischer epileptischer Anfall. Am Hinterkopf fanden sich zwei ordentliche Platzwunden. Mein Vorschlag, die Ambulanz zu rufen, Wundversorgung und so, wurde abschlägig beschieden. Solche Anfälle wären in letzter Zeit schon fünfmal aufgetreten und dies wäre sicher nicht der Letzte, es würde sich quasi nicht lohnen. Ein nicht mehr ganz frisches Unterhemd wurde um den Kopf gewickelt, der Blutfleck am Fußboden geschrubbt und gut war’s.
Eine neu aufgetretene Epilepsie kann ein Hinweis auf einen Hirntumor sein. Außerdem kann man versuchen, mit Medikamenten die Anfälle zu verhindern. Obwohl es auch in Tajikistan zumindest in der Hauptstadt Duschanbe sicherlich entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten gibt, sind die hier auf dem Land wohl völlig irrelevant und spielen im Denken, im Leben und Sterben der Menschen keinerlei Rolle. Wir wissen auch nichts über das Gesundheitssystem des Landes, das zu den ärmsten der Welt gehört und solche Dinge, wenn überhaupt, vielleicht nur in “begründeten Einzelfällen“ finanzieren kann.
Tags darauf sind wir zu dritt nach Korogh aufgebrochen, also wieder zusammen mit Fridrika, die an sich solo unterwegs ist. Aber gerade auf solchen Strecken ist es sicher besser in größerer Gruppe zu fahren, besonders wenn „die Chemie stimmt“.
Die Strecke (Obacht, lieber Michael E.!) zieht sich am rechten Ufer des afghanisch/tajikischen Grenzflusse Panj hin und ist damit eigentlich ein Flussradweg. Im Vergleich zur ersten Etappe war diese tatsächlich deutlich entspannter. Vielleicht die Hälfte der Strecke ist zwar schlecht, rau und lückenhaft aber immerhin überhaupt asphaltiert. Auch werden das am Tag durchaus um die 800 Höhenmeter, aber wir hätten vielleicht auch mehr als 60 km pro Tag geschafft. Allerdings sind bei Steilwänden links und rechts gute Lagerplätze selten und da stoppt man dann schon mal etwas früher.
An einem Abend fanden wir direkt an der Straße und kurz vor einem Dorf ein kleines abgeerntetes Getreidefeld, die Garben lagen, wie hier üblich auf einem Haufen und ringsum waren Gemüsegärten angelegt. Grabeland würde man bei uns sagen. Wir fragten ein älteres Paar, das gerade in seinem Teil wurstelte, ob wir unser Zelt auf dem Stoppelfeld aufstellen dürften. Sie meinten zwar ja, deuteten aber immer wieder auf die andere Seite des Flusses. Dort arbeiteten Männer daran, eine neue Straße in den Fels zu bauen. Dabei nutzten sie auch Dynamit und die Steine flogen bis auf das Feld, auf dem wir zelten wollten. Nach kurzen Telefonaten mit dem Handy nach Afghanistan auf die andere Flussseite, wurde uns bedeutet, dass sie erst morgen wieder sprengen würden. Also blieben wir. Wie üblich bekamen wir mehrfach Besuch von verschiedenen Dorfbewohnern, die abends in ihren Gärten vorbeischauten und ernteten. Und so wurden wir reichlich beschenkt mit Tomaten, getrockneten Aprikosen und selbstgebackenem Brot. Als wir schon im Bett lagen, kam noch ein spätes Abendessen, warmer Salat mit Brot, das wir dann allerdings doch als Frühstück nahmen. An dem Brot aßen wir noch bis Korogh!
Nun sind wir also in Korogh. Bis vorgestern war es klar, wie es weitergehen würde, nämlich durch das Vakhan-Valley weiter an der Grenze zu Afghanistan. Nun ist aber seit gestern der Pamir-Highway nach dem Erdrutsch wieder befahrbar und inzwischen hörten wir von einem dritten möglichen Weg durch das Shokhdara-Tal, den wir wohl bevorzugen werden. Kurz vor Korogh sind wir mit einem aus Kalaikhum schon bekannten schweizerischen Paar zusammengetroffen, so dass wir morgen zu fünft aufbrechen werden.
Ihr Lieben ich habe erst vor kurzem den Blick auf die Weltkarte von Google bekommen und sofort den Pamirhighway gezoomt. Mir blieb die Spucke weg und ich dachte, wow, da wollt ihr lang! Was für eine Kulisse, so tiefe Schluchten, ich konnte das nicht fassen und nun seid ihr dort!!! Eure Bilder sind einzigartig, grandios und überwältigend, mir wird fast schwindelig vom hinsehen. Ich kann nur sagen, alles gewaltig was ihr da leistet.
Ich freue mich über die Berichte der Natur und vor allem über die Menschen. Ich sage es ja oft, die, die wenig haben, sie geben was sie können, sie wissen was Gastfreundschaft bedeutet. Und hier bei uns im Überfluss? Da wird gegeizt an allen Stellen und Fremden gegenüber erst recht. Wir drücken euch die Daumen und schicken liebe Grüße eure Gisela und Wolfgang