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Straßenverkehr

Wenn wir morgens auf das Rad steigen, fahren wir jetzt nicht mehr aus Versehen auf der rechten Straßenseite. Kreisverkehr geht auch schon, nur Rechtsabbiegen auf zweibahnigen Straßen hat seine Tücken. Auf der Landstraße ist das Fahren eigentlich kein Problem; es wird auffallend langsam gefahren und meistens auch leidlich Seitenabstand eingehalten. Der Stadtverkehr, selbst in kleinen Dörfern, ist allerdings chaotisch. Der Begriff „Verkehrsknoten“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Es gibt eine deutliche Rang- oder auch Hackordnung, abhängig von der Tonnage und der Lautstärke der Hupe. Trucks und Busse haben üblicherweise eine Mehrton-Fanfare. Insbesondere Trucks haben meist Fanfaren mit komplizierten Akkorden, Tonabfolgen und Rhythmen in Megalautstärke. Tuk-Tuks klingen oft etwas kläglich und stehen kaum über den zahlreichen Mopeds, die aber natürlich schneller und wendiger sind. Ganz am Ende der Kette finden sich Radfahrer und Fußgänger. Die haben gar keine Hupe. Klingeln kann man vergessen.

Warum hupen die Inder überhaupt so viel? Ich habe den Sinn noch nicht herausbekommen. Karin meint, sie teilen damit mit „keine Sorge, ich habe dich gesehen“. Also, wenn ich auf der Straße unterwegs bin, gehe ich davon aus, dass ich gesehen werde. Wenn das so sensationell ist, dass man das mit einem Hupkonzert feiern muss, beunruhigt mich das irgendwie ein wenig. Ich höre da anderes heraus: „Ich bremse eher für eine Kuh als für einen Radfahrer!“ oder: „Ich kann überhaupt nicht fahren, ich tue nur so!“ Manche hupen wohl auch nur, weil es gerade so schön schräg klingt und so herrlich laut ist.

Die Trucker-Huptöne sind außerordentlich individuell; man hört nur selten zweimal den gleichen. Relativ beliebt ist einer, der etwa wie ein aufgeregter Truthahn klingt. Aber es kann auch mal das Hauptmotiv aus Dvorak’s Sinfonie „Aus der neuen Welt“ oder ein Halali gegeben werden. Die Anlagen sind ganz offenbar programmierbar oder Sounds wie Handy-Klingeltöne downloadbar, „Hupe 3.0“ sozusagen.

Naja, auf der Landstraße geht das Hupen ja noch an (der Huper ist ja schnell vorbei!), aber in der Stadt, besonders an Kreuzungen ohne Ampel, wird es infernalisch, eine rechte Kakophonie. Da werden vielstimmige Bläsersätze intoniert, ohne Generalpause. Alles fährt wild durcheinander, ohne für uns erkennbare Regeln. Dazwischen stehen noch ein paar tiefentspannte Kühe, die sich durch überhaupt nichts aus der Ruhe bringen lassen. Es ist nicht mehr zu hören, wer nun gerade hupt, warum und wer damit gemeint ist. Verkehrsregeln scheinen überhaupt unbekannt zu sein; einzig das Fahren auf der linken Fahrbahnseite wird überwiegend eingehalten.

Besonders auf vierspurigen Straßen mit Mittelstreifen allerdings ist ein großes Ärgernis–wie auch im Iran- das Fahren auf der Gegenfahrbahn, weil man sich den (meist langen) Weg zu Wendestelle sparen will. Bei einem Moped auf dem Seitenstreifen mag das ja noch hinnehmbar sein, aber gerade haben wir einen vollbesetzten Reisbus auf der Überholspur der Gegenfahrbahn gesehen um auf dem Weg zur Tanke vier km Strecke zu sparen. Und was hatte der Truck auf der rechten (also falschen!) Fahrbahn zu suchen, als er den Kleinlaster frontal gerammt hat????

Auch in Indien gibt es so etwas wie eine „drivers licence“; es gibt auch vereinzelt Fahrschulen, die aber nicht der Standardweg zur Erlangung des Führerscheins sind sondern –wie uns jemand sagte – eher was für Deppen. Normalerweise …, also alle Behörden in Indien sind korrupt.

Auf den meisten Trucks steht hinten „Blow ok horn please“. Das heiß einfach: „Hupe bitte, wenn ich nach überholen einscheren kann“. Dann steht da oft noch unten links „Stop signal“. Das bedeutet nach Mitteilung unseres Freunds Satish: „Dieses Fahrzeug ist mit einem Bremslicht ausgerüstet.“ Auf meinen Einwand, ein Bremslicht gehöre doch wohl weltweit zur Standardausstattung jedes Kraftfahrzeugs, antwortete er lächelnd, das stimme wohl, sei aber in Indien doch nicht selbstverständlich. So sehen wir denn auch viele Trucks, wo zwar „Stop Signal“ draufsteht, aber keins dran ist. Vielleicht im Auslieferzustand vor 20 Jahren, aber jetzt eben nicht mehr.

Neulich, während des wunderbaren Abendessens bei Deep´s großen Truckerrestaurant krachte es plötzlich heftig: ein Truck war von der Straße abgekommen und lag auf der Seite. Das Gesetz der Serie will es, dass wir am nächsten Morgen wieder einen auf der Backe liegenden Truck gesehen haben. Der Fahrer sagte, er wäre einfach eingeschlafen! Er hat dann nach unserer geplanten Strecke bis zur Grenze nach Myanmar gefragt, konnte dann die exakten Distanzen zwischen den Städten benennen, ruck-zuck zusammenzählen und das auch noch auf Englisch! Wir waren schwer beeindruckt, so hatte er eigentlich gar nicht ausgesehen. Auch an den nächsten Tagen immer wieder verunfallte Trucks gesehen haben.

Das ist einmal daneben gegangen. Wir waren noch ziemlich weit weg, haben es aber knirschen gehört. Der Mopedfahrer ist wohl aus der Dorfstraße auf die Fernstraße geschossen und hat den Truck übersehen. Weder Moped noch der jugendliche Fahrer haben den Crash überstanden. Wir haben zwei Personen (die Truckfahrer?) nach links flüchten sehen und einige Dorfbewohner, mit Brechstange in der Hand, schienen ihnen aufgebracht folgen zu wollen.

Hier sieht man den größten und den kleinsten Sattelschlepper Indiens, dem Land der Gegensätze. Überhaupt wirken viele Fahrzeuge irgendwie überladen …